Siemens Campus:
Arbeitsplätze und Betriebe gefährdet

Erlanger Rot - Ausgabe 4/2020Im Frühsommer 2020 gingen Gewerkschaftskolleg*innen und Betriebsrät*innen aus Sorge um die Arbeitsplätze im Siemens Campus Erlangen an die Öffentlichkeit. Konkret befürchten sie, dass die Siemens AG ausschließlich Bürogebäude auf dem Campusgelände geplant habe, und damit existentiell wichtige Fertigungs-, Prüf- und Laboreinrichtungen endgültig verschwinden könnten. Das hätte nicht nur den Verlust von teuren und z.T. europaweit einzigartigen Versuchseinrichtungen zur Folge, sondern könnte auch Arbeitsplätze gefährden und Teile der für künftige Energieversorgung notwendigen betrieblichen Infrastruktur zerstören. Dass die Kolleg*innen mit ihrer Petition einen Nerv getroffen haben, zeigen die mittlerweile über 600 Kommentare von Beschäftigten und weit über 1.700 Unterschriften.

Unterstützung
brauchen Kolleginnen und Kollegen für ihr Anliegen weiterhin:
www.openpetition.de/campuserlangen

Dabei sah alles so gut aus, als die Siemens AG sich 2014 "zum Standort Erlangen bekannte" und einen Architektenwettbewerb auslobte: Die Aufgabe für den städtebaulichen Wettbewerb, den auch Oberbürgermeister Dr. Janik unterstützte, lautete: In einem urbanen Umfeld soll eine moderne Arbeitsumgebung mit Büro-, Forschungs- und Laborarbeitsplätzen entstehen. Dazu soll ein Großteil des alten Immobilienbestands schrittweise durch moderne Gebäudestrukturen ersetzt und die notwendige infrastrukturelle Anbindung geschaffen werden. Zwei Jahre später erfolgte der Spatenstich für den ersten Bauabschnitt in Modul 1.

Und heute? Ende 2020 häufen sich Fragen rund um das Prestigeprojekt des Siemens-Konzerns in Erlangen. Fragen, die sich auch die Stadtratsfraktionen stellen sollten.

Arbeitsplätze in Gefahr? Werden mit dem Neubau tatsächlich Betriebsteile wie Labore, Fertigungsstätten und Prüffelder aus Erlangen verschwinden? Werden Arbeitsplätze in andere Regionen verlagert? Sehen Stadträt*innen und Stadtspitze ungerührt zu, wenn tariflich abgesicherte und mitbestimmte Arbeitsplätze aus Erlangen abwandern?

Stadtentwicklung unter Konzerndiktat? Über die Stadtentwicklung und die Nutzung der Flächen entscheidet der Stadtrat. Wo Wohnungen gebaut werden, wo Einzelhandel angesiedelt wird oder Gewerbetriebe, kann man dem so genannten Flächennutzungsplan entnehmen, den jedes Kommunalparlament unter Beteiligung der Bürger*innen erstellen muss. Das Südgelände im Eigentum der Siemens AG etwa ist als Gewerbegebiet eingetragen, und zwar schon von den Anfängen in den 1960er Jahren an. Nun hat die Unternehmensspitze entschieden, einen Teil des Geländes gewinnbringend an die Universität zu verkaufen und ein weiteres Drittel mit der Errichtung von Eigentumswohnungen zu vermarkten. Weder die Nutzung als Universitätsgelände noch die Nutzung für Wohnbebauung ist im Flächennutzungsplan vorgesehen. Entsprechende Nutzungs- oder Bauanträge müssten also abgelehnt werden. Vor wenigen Jahren erst hat der Stadtrat Leitlinien für die Entwicklung von Gewerbegebieten verabschiedet, um die für Betriebe und Arbeitsplätze notwendigen Flächen zu sichern. Ausdrücklich ist darin das Ziel formuliert, dass "eine allmähliche Etablierung von Wohnnutzungen in ausgewiesenen Gewerbegebieten ... vermieden" werden soll. Auch eine "schleichende Umwandlung von Gewerbeflächen zu Einzelhandelsstandorten" wird abgelehnt, um die innerstädtische Entwicklung nicht zu gefährden. Beide Grundsätze werden am Siemens Campus in ihr Gegenteil verkehrt. Warum sehen Stadtrat und Stadtspitze ungerührt zu, wie ein Großkonzern in Eigenregie den kommunal erstellten Flächennutzungsplan und die Grundsätze zur Stadtentwicklung missachtet? Wann werden endlich die Erlanger*innen über sämtliche geplanten Änderungen informiert? Wann wird endlich das gesetzlich vorgeschriebene Beteiligungsverfahren bei Änderungen am Flächennutzungsplan gestartet? Wann werden demokratische Grundsätze auch beim Baurecht wieder vollumfänglich geachtet?

Sicherung der Arbeitsplätze durch die Stadt nicht möglich? In den Leitlinien zur Entwicklung von Gewerbeflächen haben die Stadträte sich aus leidvoller Erfahrung auch damit befasst, was unternommen werden kann, wenn Grundstückseigner von Gewerbeflächen dort keine adäquaten Arbeitsplätze schaffen. Wenn "ein erhöhter Bedarf an Arbeitsstätten nachgewiesen wird und keine Mitwirkungsbereitschaft der Grundstückseigentümer besteht, ... dann [werden die Grundstücke] von der Stadt erworben, beplant und erschlossen und anschließend an die Bauwerber veräußert". So hat es der Stadtrat beschlossen. Was macht die Stadt mit einem Konzern, der auf erschlossenem Gewerbegebiet Industrieeinrichtungen abbaut, Arbeitsplätze vernichtet und offensichtlich mit dem Bau teurer Eigentumswohnung eine nicht gestattete Nutzung plant? Klimaschutz Fehlanzeige? Die Siemens AG wird das verbleibende Betriebsgelände so nachverdichten, dass bisher in Erlangen Mitte, Nürnberg und Fürth angesiedelte Beschäftigte in den nächsten Jahren nach und nach in den Campus umziehen. "Konsolidierung" nennt das Management diese Verdichtungspläne, die erheblichen Pendlerverkehr nach sich ziehen werden. Schon 2015 wurden die Stadträt*innen darüber informiert, dass "durch die dortige Konzentration der Arbeitsplätze gegenüber heute ein erhöhtes Verkehrsaufkommen von zusätzlich ca. 17.300 KfZ/Tag (heute 17.500 KfZ/Tag)" zu erwarten ist. Daher müsse die Stadt die Straßen entsprechend ausbauen, Kosten in unbekannter Höhe sind bisher alle aus dem Kommunalhaushalt bezahlt worden. Auch die Kosten für einen vorgesehenen Schwenk der StUB sowie neu zu planende Buslinien sollen von der Kommune getragen werden. Die Siemens AG setzt weiter auf Privat-PKW, baut Parkhäuser und überlässt den Rest der Bürgerschaft Erlangens. Gegenleistung? Fehlanzeige. Beitrag zum städtischen Klimaschutz? Fehlanzeige. Beitrag zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens? Fehlanzeige.

Wann hat dieser Stadtrat endlich den Mut, über ein Ende von Luftverschmutzung und Lärmbelastung auch mit einem Global Player wie Siemens ernsthaft zu verhandeln?

Redaktion Erlanger Rot

Link zum aktuellen
Erlanger Flächennutzungsplan
auch zum Download

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