"Das wirft Hoffnungen auf links-sozial-ökologische Bewegungen auf"
Interview mit den Stadtratsmitgliedern der "erlanger linke" Fabiana Girstenbrei und Johannes Pöhlmann zu ihrer Situation, ihrer Politik und ihren Hoffnungen

Erlanger Rot - Ausgabe 3/2020Die erlanger linke (erli) ist wieder mit zwei Abgeordneten im Stadtrat vertreten. Ein außerordentlich engagierter Wahlkampf hatte Forderungen nach mehr Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und kommunalem Klimaschutz in den Mittelpunkt gerückt. Im Ergebnis wurde ein Zuwachs von knapp 11.000 Stimmen erzielt. Zum zweiten Mal zieht der Software entwickler Johannes Pöhlmann für die erli in den Stadtrat, neu dabei ist die Studentin Fabiana Girstenbrei, alleinerziehende Mutter einer vierjährigen Tochter. Wir haben mit beiden gesprochen. Das Interview führten Isa Paape und Hans Hoyer.

Frage Zunächst einmal Gratulation zum guten Wahlergebnis der erli und zur Verteidigung der beiden Sitze im Erlanger Stadtrat! Fabiana, du bist erstmals Stadträtin, und das gleich in einer Großstadt mit vielfältigen Herausforderungen. Auf welche politischen Schwerpunkte möchtest du dich in den kommenden Jahren konzentrieren?

Fabiana GirstenbreiFabiana Girstenbrei Sozialpolitik ist mir besonders wichtig. Da ich selbst Sozialhilfe empfange weiß ich wie hart es ist mit wenig Geld zurecht zu kommen und wie wenig die Betroffenen oft selbst für ihre Situation können. Erlangen ist eine sehr wohlhabende Stadt mit viel Gewerbe. Das Geld aus den Gewerbesteuereinnahmen kann man sehr gut zugunsten des nicht so wohlhabenden Teils der Bevölkerung einsetzen.

Frage Hast du dazu schon konkrete Überlegungen?

Fabiana Girstenbrei Ja, ich möchte einen Antrag auf eine städtische "Erlangen-Zulage" für Pflegefachkräfte stellen. Sie sind eine der wichtigsten Säulen in der Gesellschaft und können sich die hohen Mieten in Erlangen kaum leisten. Außerdem könnte man die Preise des ÖPNV in Erlangen so weit senken, dass sie unter dem berechneten Sozialhilfe-Bedarfssatz liegen.

Frage Neun Gruppierungen sind im neuen Stadtrat vertreten. Die demokratische Opposition, zu der wir die AfD ausdrücklich nicht rechnen, ist also recht bunt. Fabiana, welche Rolle wird denn die erli in dieser Gemengelage spielen?

Fabiana Girstenbrei Wir sehen uns mit Abstand am politisch linken Rand des Stadtrats. Aus der Opposition heraus kämpfen wir für eine linke Stadtpolitik. Das unterscheidet uns von den anderen Oppositionsparteien. Was uns mit der ÖDP, der GL und der Klimaliste verbindet sind definitiv die ökologischen Ziele.

Frage Johannes, du bist wiedergewählt, findest aber eine sehr ver- änderte Situation im Stadtrat vor. SPD und CSU haben mit ihrer sehr knappen Regierungsmehrheit von 26 Stimmen eine Situation geschaffen, in der die Gefahr besteht, dass sich die AfD als Zünglein an der Waage aufspielen könnte. Lässt sich eine solche Situation politisch verhindern?

Johannes PöhlmannJohannes Pöhlmann Es gibt - anders als in Höchstadt - keine Pattsituation. SPD + CSU haben die Mehrheit. Die Mehrheiten geben Spielchen a la Thüringen nicht her. Eine Partei wie die "Alternative für Reiche", die Faschisten in Führungspositionen wählt, ist für uns nicht politischer Gegner, sondern Feind. Wir sind zuversichtlich, dass auch für die anderen demokratischen Gruppen im Stadtrat eine Zusammenarbeit mit dieser fünften Kolonne der Superreichen in keiner Form in Frage kommt.

Wenn es aber zu den o.g. Pattsituationen kommt, etwa weil Jemand krank ist, dann ist es Aufgabe der Regierung, im transparenten Dialog mit demokratischen Oppositionsparteien eine Lösung zu suchen.

Frage Offensichtlich ist es notwendig, die rassistische und soziale Demagogie der rechtsextremen Kräfte zurückzudrängen. Siehst du dafür Handlungsansätze in Erlangen?

Johannes Pöhlmann Rassistische und soziale Demagogie ist ja kein Privileg dieser faschistoiden Partei AfD. Da gibt es in der deutschen Geschichte genug Beispiele von Sarrazin (SPD) bis zu Stoiber (CSU), der 1988 den Begriff "durchrasste Gesellschaft" benutzt hat. Soziale Demagogie nutzt echte Probleme der arbeitenden Klassen, um sie zu spalten, oder ihren Zorn auf Sündenböcke zu lenken (Ausländer, Arbeitslose, Moslems und unfassbarer Weise immer noch gegen Juden). Dagegen wird bürgerlicher Antifaschismus nicht reichen. Um mit dem Sozialphilosophen Max Horckheimer zu sprechen: "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen". Wir brauchen eine soziale Offensive, die die Lebensbedingungen des am meisten benachteiligten Drittels der Menschen in Erlangen spürbar verbessert.

Frage Fabiana, welchen Stellenwert haben denn für dich Bürgerinitiativen oder Organisationen, die außerhalb des Parlaments für ihre politischen Anliegen kämpfen und oftmals darauf angewiesen sind, im Stadtrat Gehör zu finden?

Fabiana Girstenbrei Die Arbeit im Stadtrat gestaltet sich oftmals äußerst trocken. Außerparlamentarisches ist dagegen sehr erfrischend. In der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit und Pflege mache ich zusammen mit anderen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der Partei DIE LINKE durch verschiedene Aktionen auf den erschreckenden Zustand profitorientierter und teilweise privatisierter Krankenhäuser aufmerksam. Wir wollen, dass Menschen die in so wichtigen Berufen wie der Pflege, sowohl anständig bezahlt als auch angemessene Arbeitsbedingungen vorfinden. Außerdem stehen wir in Kontakt mit ver.di am Uniklinikum Erlangen. Die erli wird sich mit mir - ganz traditionell - die nächsten 6 Jahre gemeinsam mit allen Gruppen, Initiativen und Bewegungen, die unsere Ziele teilen für eine soziale, ökologische, solidarische und demokratische Stadt einsetzen.

Frage Im letzten Erlanger Rot haben wir die Stimmen der Wähler*innen mal nachgezählt und festgestellt, dass das demokratische, linke, sozial und ökologisch orientierte Lager deutlich gewachsen ist. Denkt ihr, dass sich dieses Spektrum als Netzwerk von politisch aktiven und interessierten Bürgerinnen und Bürgern etablieren könnte?

Johannes Pöhlmann Ja, dafür gibt es bereits Beispiele. Die Landesgartenschau wurde durch aktive BürgerInnen verhindert. In einem Bürgerentscheid haben 2/3 der ErlangerInnen dieses Projekt zu Fall gebracht, gegen 88% des Stadtrates. Wir haben unseren Teil dazu beigetragen. Janik wird mit seiner gar nicht so großen Koalition nicht "Durchregieren" können. Wenn die sozialen und ökologischen Inititiativen in diesem Spektrum auf ihre eigene Kraft vertrauen, können sie den Stadtrat unter Druck setzen. Wir machen uns gerne als einer von mehreren parlamentarischen Armen dieser Bewegungen nützlich.

Fabiana Girstenbrei In der konstituierenden Sitzung haben wir erstaunlich oft zusammen mit der GL, KL und ÖDP gestimmt. Das wirft Hoffnungen auf links-sozial- ökologische Bewegungen auf.

Vielen Dank für das Gespräch. Euch beiden einen guten Start als Stadträt*innen!

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